Überkonsum von Säureblockern steigt in der Schweiz weiter an
Publiziert am 13. Mai 2021 von Werner Mäder
Kürzlich hat ein Team rund um den Vizepräsidenten von mediX schweiz und mediX-Hausarzt Leander Muheim eine wissenschaftliche Studie zum Konsum von Säureblockern (Protonnenpumpenhemmer, PPI) im Fachblatt «Therapeutic Advances in Gastroenterology» veröffentlicht. Sie basiert auf Daten von 1,3 Millionen Helsana-Versicherten und liefert robuste Daten, dass diese zu den am häufigsten verschriebenen Medikamentengruppe von Ärztinnen und Ärzten sehr oft unangemessen verordnet wird – und dass dieser Trend weiter zunimmt. So nehmen gemäss der Studie rund 25 Prozent der untersuchten Patientinnen und Patienten die Säureblocker zu lange und zu hoch dosiert. Das Medikament hilft gegen Sodbrennen und Magengeschwüre und wird oft als Magenschutz zusätzlich zur Behandlung mit Schmerzmitteln verwendet.
Säureblocker sind hochwirksam und gehören zu den auch weltweit am häufigsten verschriebenen Medikamenten. Pantoprazol, eines der populärsten Beispiele, ist das am meisten verordnete Generikum und verursacht in der Schweiz die höchsten Gesamtkosten für Generika. 2019 wurden für Säureblocker rund 190 Millionen Franken über die Krankenkassen abgerechnet. Da deren Konsum stetig zunimmt, wachsen die Bedenken über deren unangemessenen Gebrauch. Der Anspruch der koordinierenden Hausärzte auf eine immer aktuelle Medikamentenliste und weil der klinische Eindruck, dass hier Fehlbehandlungen von eklatantem Ausmass stattfinden haben nun das Interesse der Forscher um den mediX-Hausarzt Leander Muheim geweckt. «Unsere Daten zeigen deutlich, dass etwas falsch läuft», lässt sich dieser im Tages-Anzeiger zitieren.
Gemäss der Studie hatten 2017 etwa 25 Prozent der Erwachsenen in der Schweiz eine Verschreibung für Säureblocker; davon haben wiederum rund ein Viertel über die Zeit so hohen Gesamtdosen eingenommen, dass dies mit keiner der klinischen Leitlinien aller häufigen entsprechenden Krankheitsbilder vereinbar wäre. Überdosierungen wurden in zunehmender Häufigkeit bei steigendem Alter oder bei Verschreibung weiterer Medikamente wie Schmerzmittel oder Medikamenten mit Blutungsrisiko beobachtet.
Viele Initiativen und Fachgesellschaften raten von einer längerfristigen Anwendung von Säureblockern ab. Eine Reduktion derjenigen Verschreibungen, welche über die Leitlinienempfehlungen hinausgehen, würden die Polypharmazie (d.h. die die dauerhafte Einnahme von mehreren Wirkstoffen beim gleichen Patienten) reduzieren, die Patientensicherheit verbessern und die Gesundheitskosten senken.
mediX-Arzt Leander Muheim warnt aber davor, dass Patienten in Eigeninitiative die Säureblocker nun einfach unkontrolliert absetzen oder die Dosis reduzieren Er empfiehlt aber, in jedem Fall die Verschreibung mit zuständigen Arzt zu besprechen. Nach einer Akutbehandlung sollte immer die tiefste wirksame Dosis angestrebt werden.
Die Studie liefert erstmals fundierte Zahlen für die Schweiz. Für die evidenzbasierte Medizin ist die zu hoch dosierte Abgabe von Säureblockern aber schon seit längerem ein Thema. Sie steht schon seit 2016 auf einer der Top-5-Listen der Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin als Teil der Initiative "Smarter Medicine", zu deren offizieller Partner auch mediX schweiz gehört. Im Rahmen dieser Initiativen nennen die medizinischen Fachgesellschaften regelmässig fünf Behandlungen, die möglichst vermieden werden sollten.
Die Studie können Sie hier in englischer Sprache und die zwei Artikel im Tages-Anzeiger beide als PDF herunterladen.